Benjamin Bergmann; Phantom

9 September 2023 - 6 Oktober 2023

Benjamin Bergmann

Phantom

Ideen und Inspiration zu einem neuen Werk fallen nicht vom Himmel. Sie biegen auch nicht um die nächste Ecke oder springen mich aus einem Hinterhalt unvermittelt an. Schon eher ist es eine Mischung aus Zufall und der Lust, mich - wann immer ich dazu in der Lage bin - mit wachen Augen durch das tägliche Leben zu bewegen.
Mit Gewissheit lässt sich festhalten, dass es Bilder sind, die einen nachhaltigen Einfluss auf ein neues Werk nehmen. Bilder von der Welt, unserer Welt, der Natur, den Dingen, Dörfern, Städten und dem Leben. Abbilder von und über uns Menschen, die für mich, in meiner ganz persönlichen Wahrnehmung aus dem Gewöhnlichen ausbrechen; sonderbar, verwirrend, irritierend sind und in dieser Weise nachhaltig wirken. Sie regen mich zum Denken und Nachdenken an. Sie werfen in mir Fragen auf. Je größer die Frage, je schwerer eine mögliche Antwort zu finden ist, desto besser das Bild.

Im Sinne eines Wettstreits hat wohl dann das Bild gewonnen, auf dessen Frage es keine Antwort, sondern womöglich nur noch mehr Fragen gibt. Diese Bilder sammle ich, lege sie in kleine Kisten und - seitdem es Computer gibt - auch in digitalen Ordnern ab. Die Ordner bekommen unterschiedliche Namen. Namen, um sie inhaltlich zu sortieren oder auch um die Bildersammlungen zeitlich und örtlich voneinander zu trennen. Offen gestanden absolut unsystematisch, chaotisch und doch irgendwie hilfreich.

Mit solchen Sammlungen stehe ich selbstverständlich nicht allein. Unzählige, womöglich alle KünstlerInnen, verfügen über ein solches Archiv aus Fotos, Zeitungsausschnitten, Texten, Songs und vielem mehr. Eine der bekanntesten Sammlungen in Bildform, die das Leben eines Künstlers konsequent begleitet und auf mich wie ein Tagebuch wirkt, ist „Atlas“ von Gerhard Richter.

In der Ausstellung „Phantom“ präsentiere ich anlässlich des zehnjährigen Bestehens des apartment der kunst einen Teil meines persönlichen Archivs in Form einer Raumcollage aus schwarzweißen und farbigen Bildern.

Phantom ist die unwirkliche Erscheinung, das beängstigend Unbekannte, die Sinnestäuschung und das Trugbild. Das Ausstellungsprojekt “Phantom“ vereint Themen und Eigenschaften, die sich mit meinem gedanklichen Kosmos überlagern und so auch in meinen Werk (zumindest einem wesentlichen Teil davon) eine wichtige Rolle einnehmen. Bilder, die von Schönheit und einer Poesie der Abwesenheit erzählen. Ereignisse, die aufgeladen sind von einer absurden und verführerischen Ästhetik des Verfalls und der Vergänglichkeit. Bilder aus Licht und Schatten, die von Fehlern und vom Scheitern handeln, der Täuschung der Sinne und den vielen Dingen, die sich verflüchtigen und nicht zu greifen sind.

Anders jedoch als bei Gerhard Richter‘s Atlas ist die von mir präsentierte Sammlung Archiv und Täuschung zugleich. Denn Bilder, die ich über Jahre gesammelt habe, sind in „Phantom“ vermischt mit den Fundstücken einer schnellen und oberflächlichen Recherche im Internet. Einiges entspricht dem Geschehnissen und der Wirklichkeit, manches ist gestellt, digital manipuliert und der Realität entrissen.Welches Bild also tatsächlich meinem persönlichen Kosmos beziehungsweise meiner mich beflügelnden Sammlung entstammt und welche Bilder der Suche nach Schlagworten und Phänomenen im Internet geschuldet ist, wird zum Rätsel für die BetrachterInnen. Mein augenscheinlich gegebenes Versprechen, Einblick in die Entstehung und Motivation für ein neues Kunstwerk zu geben erweist sich als falsch. „Phantom“ ist Erkenntnis und „Phantom“ ist Trugbild zugleich.

Die Umsetzung meines Vorhabens im apartment der kunst ist mir immer noch nicht klar vor Augen. Ich hab wohl eine Ahnung davon und den einen oder anderen Versuch unternommen. Vieles ergibt sich in eben diesem Moment (beim Nachdenken und Schreiben) und wird sich dann zeigen, im apartment für kunst.

Benjamin Bergmann, im August 2023

diaspora Iran: (Be)longing

24 Juni 2023 - 21 Juli 2023

Wir freuen uns die Ausstellung Diaspora Iran: (Be)longing kuratiert von Vinzenz Adldinger und Keivan Moussavi Aghdam ankündigen zu können. Vinzenz Adldinger hat während seines Studiums drei Jahre im Apartment der Kunst assistiert. In dieser Zeit unternahm er zwei Reisen in den Iran und lernte den iranischen Kunsthistoriker Keivan Moussavi Aghdam in Berlin kennen. Seit dieser Zeit hat sich Stück für Stück das Konzept für diese Ausstellung entwickelt, welches wir jetzt endlich umsetzen können.

Einwanderung umfasst das komplexe Wechselspiel zwischen der vertrauten Heimat und deren Abwesenheit. Die Distanz als grundlegendes Konzept spielt eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung der Erfahrung der Einwandernden. Migration erzeugt eine melancholische Atmosphäre, in der sich Einzelne in der gleichzeitigen Existenz zweier Welten wiederfinden. Sie nehmen am täglichen Leben ihres Gastlandes teil, während Erinnerungen, Nachrichten, Sorgen und Freuden aus ihrem Herkunftsland in abstrakter Form fortbestehen. Folglich finden sich die Einwandernden an der Grenze zwischen zwei Welten wieder, gefangen zwischen den Vorstellungen von "dort" und "hier", ohne vollständig einer von beiden anzugehören.

Diese Ausstellung zeigt Werke von Künstler*innen, die ihre Kunst im Exil geschaffen haben. Unter dem Titel Diaspora Iran: (Be)longing lädt die Ausstellung zum Nachdenken über die Distanz und Verbindung zwischen diesen Kunstwerken und dem Begriff der Zugehörigkeit ein. Auf der einen Seite ist ein Gefühl der Distanz und des Abstands spürbar, doch paradoxerweise wird das eigene Identitätsgefühl auch durch das definiert, wovon man sich entfernt. Die anhaltende Bewegung "Woman, Life, Freedom", die von den Einwandernden aufmerksam verfolgt wird, akzentuiert sowohl das Gefühl der Trennung als auch der entstehenden Verbindung.

Anliegen dieser Ausstellung ist es, eine Plattform für die Auseinandersetzung mit der Kunst und Kultur einer vielfältigen Gruppe von Münchner Mitbürger*innen zu schaffen. Darüber hinaus soll die Ausstellung bedeutende Diskussionen unter den in München lebenden Iraner*innen fördern, indem sie ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Gedanken auf künstlerisch reflektierte Weise auszudrücken und eine tiefere Wertschätzung für die Bandbreite der iranischen Kunstproduktion in der Diaspora zu entwickeln.
Vinzenz Adldinger und Keivan Moussavi Aghdam

Kurzbiografien:


Parastou Forouhar zeigt „Augen, Panorama I“ von 2020, eine wandfüllende digitale Zeichnung, mit Figuren, welche sich vor omnipräsenten Blicken zu schützen versuchen. Die Künstlerin verwendet die Symbole der iranischen Kunst, insbesondere Kalligrafie, Ornamentik und Elemente der religiösen Kunst, um die komplexe politische und soziale Landschaft des Iran durch eine symbolische Perspektive zu vermitteln. In ihren Werken setzt sie sich mit dem weiblichen Körper als bedeutendem politischen Thema auseinander, wobei sie die in der patriarchalen Gesellschaft des Iran vorherrschende Kontrollperspektive kritisch untersucht.

Kaveh Kavoosi zeigt drei Arbeiten. Einen Film aus der Enharmonic Serie in dem das Wechselspiel von äußeren Einflüssen auf zu schützende Elemente des Lebens zu sehen ist, sowie zwei Collagen aus der Positions Serie. Er sieht sich in der Tradition der iranischen Malerei und bietet eine ergreifende Darstellung zeitgenössischer sozialer und politischer Themen. Durch die Verwendung abstrakter Räume hält er seine Erfahrungen im Exil fest. Seine Kunstwerke sind ein vielschichtiger Ausdruck seiner Verbundenheit mit seinem Heimatland und gleichzeitig ein Schutzschild, das ihm Zuflucht vor den Bedingungen im Land gewährt.

Neda Razavipour zeigt die Dokumentation ihrer Installation und Performance „Musical Chairs“ vom Zürich Tanzt Festival von 2021. Stühle symbolisieren die Abwesenheit von den geliebten Menschen, die sie mit Bändern verbindet und auf diese Weise Trost für die Wunden der Trennung erhält.
Ein zentrales Anliegen der Performances der Künstlerin ist es, den Zustand des Menschen in der heutigen Welt darzustellen, in der der oberflächliche Schein Ruhe und Ordnung vermittelt, während hinter dieser Fassade ein Gefühl der Abnormität verborgen liegt. Sie schafft Kunstwerke, die die Erfahrung einer fragmentierten Existenz einfangen.

Golnar Tabibzadeh ist mit fünf Malereien vertreten die Gesichter zeigen, deren Farbfläche sich verbinden, und damit verschiedene Seelenzustände wie Sorge, Freude aber auch Sehnsucht und Depression der Künstlerin selbst und anderer beobachteter Personen ausdrücken. Ihre Kunstwerke manifestieren eine erkennbare Präsenz der Selbsterzählung. In dem Bereich ihres künstlerischen Ausdrucks versucht sie, die verschlungene Dynamik zwischen ihrer persönlichen Identität und der äußeren Umgebung zu erfassen. Ihre Arbeiten bewegen sich in einem Grenzbereich, der zwischen den Bereichen der Introspektion und der äußeren Welt angesiedelt ist.

Vinzenz Adldinger derzeit im Masterstudium der Kunstgeschichte für den Nahen und Mittleren Osten an der LMU München, fokussiert auf die zeitgenössische westliche und iranische Kunst. Drei Jahre hat er im Apartment der Kunst assistiert und hat dort mit vielen nationalen und internationalen Künstler*innen gearbeitet. Bei der Mitarbeit des Cinema Iran Festivals in München, hat er seine Spezialisierung mit bedeutenden iranischen Kulturschaffenden vertiefen können.

Keivan Moussavi Aghdam arbeitet schwerpunktmäßig zu Kunstphilosophie und Fotografie in der zeit-genössischen iranischen Kunst. Seit 2019 arbeitet er mit einem Stipendium der Max-Planck Gesellschaft als Doktorand im Fachbereich Bildgeschichte an der Humboldt-Universität Berlin an seiner Promotion. Er hält einen Master-Abschluss in Kunsttheorien und einen Bachelor-Abschluss in Fotografie.