EIN BILD VON EINEM KNOTEN

Von Wilhelm Schürmann für Sofie Bird Møller

Irgendwas stimmt nicht. Wie immer in der Kunst.
Man sieht Szenerien, jedoch keine Menschen, nur ihre faltenreiche Kleidung, davon aber
auch nur Fragmente. Die agierenden Personen sind verschwunden, verborgen, gelöscht,
wegretuschiert. Da, aber nicht hier. Geister ihrer Bilder.
In einem Bild ist ein Knoten. Man sieht ein Bett, mit Baldachin und Vorhang zum Zuziehen.
In diesem Vorhang ist ein riesiger Knoten. Unabhängig davon, dass es technisch kaum
möglich wäre, einen Knoten in so einen dicken Vorhang zu machen, der, oben aufgehängt,
schwer herunterhängt, verhindert der Knoten, dass der Vorhang zugezogen werden könnte.
Warum braucht ein Bett überhaupt einen Vorhang, wenn es in einem Raum ohne hellem
Fenster steht? Schutz vor neugierigen Blicken vieler gleichzeitig anwesender Personen?
Privatheit in der Privatheit eines Zimmers?
Oder ist das Bett Teil eines öffentlichen Hauses? Dann ist das Bett die Bühne, der Ort des
Geschehens. Das Licht kommt von der Seite des Betrachters.
Der Vorhang bleibt also auf, doch man sieht nichts, die Vergangenheit ist ausgelöscht. Der
Schein des Scheins. Überall nur noch Indizien ohne Tatort. Eine geschlossene Hutschachtel,
ein Hut, ein Reisigbesen, Schüsseln, Krüge, Tassen, eine zerbrochene Pfeife, medizinische
Ampullen. Es sieht nach Unordnung aus, es ist etwas im Gange. Ein Besen ohne Hexe.
Mit dem Knoten müsste der Vorhang übrigens eigentlich wesentlich kürzer sein als ohne
Knoten. Ist er aber nicht. Der Vorhang ist also gar kein Vorhang. Es ist ein Bild von einem
Vorhang, ein Kupferstich von einem Knoten. Kunst setzt die Logik außer Kraft. Es geht
um den Knoten und nicht um Physik. Es geht um Faltenwurf, um Stoff, um den weichen
Eindruck von weichem Material durch den harten Stift des Kupferstechers.
William Hogarth war gut in Faltenwurf. Ohne zu sehr aufzubauschen, findet er in allen
seinen Bildern immer wieder Gelegenheit, so auch sein handwerkliches Können zu zeigen.
Falten in üppig wallenden Gewändern. Dreidimensionalität in flachen Bildern.
Sofie Bird Møller ist gut im Weglassen. Der Ort, das Bett, das Zimmer sind Hintergrund für
ein Geschehen, das nicht mehr sichtbar ist. Es ist wegretuschiert, unseren Blicken entzogen.
Wir können nur noch Vermutungen anstellen oder uns bei den unretuschierten Originalbildern
von William Hogarth die Ausgangslage vor Augen führen. Aber will ich das? Soll
man das? Was brächte mir das historische Vor-Bild? Muss ich alles wissen, bin ich Historiker,
oder kann ich mir das Bild der Gegenwart durch die überarbeitete Version erschließen? Ich
sehe nur, was ich weiß. Von wegen.
Jetzt ist das Bild der Knoten. Faltenwürfe dominieren das Geschehen. Sie fallen, schweben,
bauschen, sind ihre eigene Oberfläche. Sie erzählen von einer Vergangenheit, die keine mehr
ist. Sind nur noch Vorhang. Sie verbergen nichts mehr, sind nicht mehr Kleidung, verhüllen
nichts mehr. Zwar definiert die Hülle die Figur, aber Sofie Bird Møller hat das Äußerliche
belassen und die darin gekleideten Personen getilgt. Kein bisschen Haut mehr im Bild. Sorgfältig
wegretuschiert. Fotografische Technik auf Tiefdrucke angewandt. Sie verbirgt die Verhüllten
und zeigt das Zeigen. Das Bild wird zur Haut, zur eigenen Oberfläche. Die Personen
sind noch da, aber nicht sichtbar, aber auch nicht unsichtbar. Sie sind verborgen unter der
Retusche. Man sieht ihre zeichenhaften Geister als fahles Echo ohne Zeichnung. Wir ersetzen
sie mit unseren Blicken. Die Handlung ist aufgehoben. Zeit spielt keine Rolle mehr.
Sofie Bird Møller zeigt ihre Version der Entwicklung einer Hure, die in ihrer eigenen Oberfläche
verborgen bleibt und uns so die Konstruktion von Kunst wieder sichtbar macht. Die
ewige Geschichte um Verführung, Käuflichkeit, Begehrlichkeit und Endlichkeit. Wie im
Himmel, wie in der Hölle.