Sophie Schmidt

By Anja Lückenkemper for Sophie Schmidt

Sophie Schmidt

In einer anderen Zeit, wenn die Neukombinatorik des menschlichen Körpers vollendet ist und wir Menschen damit einhergehend neue Seinszustände – wider dem Primat des Kopfes –erreicht haben, werden unsere Kör- per vielleicht offen sein, verschränkt in und mit der Welt. Bis dahin braucht es Körperhilfen – Prothesen – um sich mit der Welt zu verflechten und die Trennung von Denken und Körper zu überwinden. Wie auch eine eigene Sprache, ein neues Vokabular, um die Unmittelbarkeit der Welterfahrung zu beschreiben.

Sophie Schmidts Arbeiten drehen sich um dieses andere in-der-Welt-Sein: sie unternimmt eine evolutionäre Weiterentwicklung, die nicht nur die menschliche Anatomie, sondern das Menschseins und die Weltsicht transformiert. Durch Zeichnung, Bild, Installation, Text und Performance – oder, in einer anderen Katego- risierung: Fortbewegungsmaschinen, Prothesen, OP-Tischen oder Tafelbildern – schafft sie ein System, das ihr selbst und den Betrachter*innen erlaubt und zugleich abverlangt, sich komplett auf die „Menschweitung“ einzulassen. Ein Vorgang, den ein strengen Regelwerk strukturiert und der auf genauen, animistischen Beob- achtungen aufbaut.

Schmidts Interesse an Natur, Psychonalyse, wie auch philosophischen, vor allem phänomenologischen, Zu- gängen zum Körper zieht sich durch ihr Werk. Ihre Menschseins-Weitungen setzen meist am Solarplexus an und verhandeln den immensen theoretischen Unterbau, der dem Werk zugrunde liegt, über den Körper: ähnlich wie bei Flusser ist er hier die Haltung zur Welt. Sie will weg von einer menschlichen Überblicks- haltung gegenüber der Natur, um eine engere Bindung mit der Welt zu erreichen. Die Arbeiten sind extrem persönlich: Schutzhäute etwa – inspiriert von Insektenpanzern – um der eigenen Verletzbarkeit oder dem eigenen Schmerz durch ein Hilfselement etwas entgegen zu stellen. Zu jedem „Mangel“ entwickelt Schmidt eine Prothese und eine Anwendungsbeschreibung.

Die Prothesen helfen die Neukombinatorik des Körpers und damit den neuen Seinszustand zu erproben. Schnecken oder Insekten sind nicht nur wiederkehrende Motive, sondern Freunde, von denen Schmidt die benötigten Hilfselemente abschaut – Fühler etwa, die eine bessere Verbindung mit der Welt erlauben. Sie integriert sie um eine Öffnung der Körper zu ermöglichen, baut Bauchprothesen zur „Bauchwerdung“ oder Balancehilfen, um nicht mehr vertikal auf Beinen durch die Welt zu gehen. Die Prothesen sind Ersatzstücke aber auch Hilfsmittel, um das transformierte In-der-Welt- Seins zu ermöglichen. Der Körper endet nicht mehr an der Haut, er wird geöffnet, erweitert, neu verbunden.

Schmidt verwendet und erklärt die sehr filigranen Körperhilfen oder massiven Fortbewegungsmaschinen, deren instabile Beschaffenheit sich während der Nutzung nach und nach auflöst und immer wieder neu zu- sammengesetzt wird. Die instabilen Installationen befinden sich in einem kontinuierlichen Balanceakt, der die Verwendung nicht übersteht: Bauen, performative Zerstörung, erneutes Bauen bilden einen Kreislauf. Die Performances, also die Verwendungen der Prothesen oder OP-Tische, sind Grenzauflösungen oder Metamor- phosen, nach denen sich für die Künstlerin die Grenzen zur Welt erst wieder neu formieren müssen – ähnlich eines eben umgesiedelten Einsiedlerkrebs, oder einer frisch gehäuteten Schlange.

von Anja Lückenkemper