Zeig mir deine Finger, diese Radicchio-Klauen mit Messern und Gabeln dran

Von Clara Stratmann für Sophie Schmidt

Sophie Schmidt

Zeig mir deine Finger, diese Radicchio-Klauen mit Messern und Gabeln dran

Sophie Schmidts Hingabe zur Performance ist stets in ihrer gesamten künstlerischen Praxis spürbar. Wir finden Spuren vorheriger Performances in ihren Collagen. Texte, die sie geschrieben hat, poetisch auf ihre ganz eigene Art, laut ausgesprochen oder gesungen unter gebauten Brücken zwischen Zeichnungen, Malereien und Skulpturen, die sie oft Prothesen nennt. Worte tauchen wieder auf, verbinden sich und fügen etwas der Geschichte hinzu, die an einem gewissen Punkt in einem Medium, das Sophie Schmidt in ihrer künstlerischen Praxis beherrscht. Diese Narrative zoomen heran und heraus aus Zeit und Raum. Sie erzählen die Geschichte von San Gennaro, dem Schutzheiligen von Neapel, der im vierten Jahrhundert, genauso wie sie die kleinsten Insekten und Tiere betrachten. Sich auf die Arbeiten von Sophie Schmidt einzulassen, bedeutet auch sich ein Bild von diesen Erzählungen zu machen. Während die aktuelle Situation in heutigen Gesellschaften die Ungleichheit in Gemeinschaften forciert, ist Schmidts Ansatz ein Manifest wider den Hierarchien. Ganz wie auch die kleinsten Insekten einen genauso großen Einfluss auf Sophie Schmidts künstlerische Praxis wie ein verehrter Heiliger haben, können ihre Einflüsse und Ausgangspunkte ähnlich gewöhnlich sein wie die Schönheit eines Radicchios oder die Kurven einer Tomate. Ein Werkzeug, um zwischen diesen Inspirationen zu vermitteln, sind Sophie Schmidts Prothesen.

Gebaut aus Alltagsgegenständen wie Sieben, Hygieneprodukten, Eiern oder Bandagen, weiten sie Sophie Schmidts Körper in der Praxis ihrer Aktivierungen (wie sie einige ihrer Performances nennt). Der Körper wird einer Transformation unterzogen, oder man könnte es ebenso eine Rekonstruktion nennen, um die Grenzen zwischen verschiedenen Daseinsformen zu beherrschen. Die Prothese „weitet den Körper“, wird eine Verstärkung, eine Erweiterung oder Hilfe.

Donna Haraways Definition eines Cyborgs folgend, können die Unterschiede zwischen verschiedenen Daseinsformen überwunden werden, wenn die Grenzen zwischen Menschheit, Maschine und Tier aufgelöst würden.

Während ihrer Performances, bewegt sich Sophie Schmidt in diesen neuen Raum hinein, der jedoch immer noch als existent definiert werden muss. Diese vorrangige Idee ermöglicht eine alternative Perspektive auf die gesellschaftlichen Bewertungsstandards. Was bedeutet es, gesund/ungesund, produktiv/unproduktiv, zugänglich/unzugänglich zu sein? Darin liegt die Brutalität des Daseins. Aber Sophie Schmidt blickt darauf immer mit einer Zärtlichkeit.

Mit ihren Performances baut die Künstlerin ein Theater, für jeden, für niemanden. Sie trägt ihre Oper, ihr Theater mit ihr. Der Körper ist die Bühne, Sänger, Kostüm, Fleisch, Ton, Chor, Zuschauer, Requisite.

Clara Stratmann, Mai 2021